SERENDIPITY im Sturm
- Michael
- 17. Juni
- 6 Min. Lesezeit
Neukaledonien
Oktober 2024
Zum ersten Mal befanden wir uns auf unserer Weltumsegelung im Sturm. Wir nehmen Kurs auf das Land der Kanaken, das von Frankreich seit Jahrhunderten annektiert ist und wo Konflikte immer wieder schwelen. Der Konflikt brach 2024 aus und erfasste bald die ganze Inselgruppe. Nach Telefonaten mit der Marina Nouméa, fassten wir den Entschluss Nouméa trotzdem anzulaufen.
Uns wurde versichert, dass die Lage seit der Polizeiintervention Frankreichs und der Verhaftung eines der Rädelsführer sich beruhigt habe. Allerdings könne man sich nur auf der Hauptinsel und dort auch nur im engeren Bereich der Stadt im Süden frei bewegen. Eine Ausgangssperre ab abends acht Uhr galt für die Nacht.
Die Segel setzen wir in Vanuatu, genauer in Santo Esperitu. Wir rechnen mit einer Überfahrt von 4 Tagen.
Bei der Abfahrt aus Vanuatu haben wir die einschlägigen Wettermodelle (ECMWF, PGE, PWE, GFS etc.) für die in Frage stehende Route konsultiert. Sonne und allerhöchstens 8-10 Knoten Wind waren angesagt. Champagnersegeln.
Am zweiten Tag unseres Aufbruchs zieht der Himmel immer mehr zu. Von weitem ist Donner zu hören. Der Wind frischt stetig auf und liegt mittlerweile bei über 30 Knoten.
Am vierten Tag unserer Passage, wir passieren das Astrolab Riff und nehmen Kurs Neukaledonien, herrschen chaotische Bedingungen. Wind peitscht die Seen auf, Gischt streift von den Wellenkämmen ab. Der Wind hat in Böjen mittlerweile Spitzen von 45 Knoten und mehr erreicht. Dreht um die 60 Grad und kommt nun von vorne. Wir starten den Motor machen aber nur noch zwei bis maximal drei Knoten.
Um 14:15 Uhr kontaktieren wir John, unseren Wetterrouter aus Neuseeland. Schildern die Lage vor Ort. John erbittet sich mehr Zeit, um die Situation besser zu verstehen. Auch seine Modelle versprechen seit Tagen ruhiges Segelwetter.
Bange sitzen wir in der Kajüte, haben Angst. Nina hält mich, redet uns zu. Dass wir vieles schon geschafft haben und auch diese Situation meistern werden. Die Umarmung tut gut.
Wir drehen bei. Gehen durch den Wind über Stag und lassen die Sturmfock hart back stehen. Unterstützen Serendipity mit Hilfe des Motors, legen Luvruder. Serendipity treibt mit 1.5 bis 2 Knoten Richtung Astrolab Reef. Die Schiffsbewegungen werden ruhiger. Das Schiff macht weniger Lage.
Um 17:00 Uhr meldet sich John zurück. Möchte von uns wissen, wie das Wetter vor Ort ist, woher die Winde wehen, wohin die Wolken ziehen. Auf den Kompass schauend, geben wir ihm die gewünschte Auskunft. Weit im Norden bricht die Wolkendecke leicht auf. Der Wetterrouter tippt vorläufig auf ein Tief im Süden von Neukaledonien, das auf der Südhalbkugel nach Südosten zieht.
17:30 Uhr - John meldet sich erneut. Er habe gut im Internet versteckte Radarbilder gefunden, die ein kräftiges Tief südlich von Neukaledonien zeigen. Er rechnet damit, dass sich das Tief in den nächsten Stunden verstärkt, jedoch von uns weg nach Südosten zieht.
Wir kürzen den Wachrythmus von vier Stunden auf zwei. Serendipity schlägt sich hervorragend, liegt mittlerweile 50 Grad zum Wind, macht aber kaum mehr Fahrt. Sanft hebt und senkt sie sich. Nina übernimmt die erste Wache bis 24 Uhr, während ich mich in die Koje lege, um nach Mitternacht zu übernehmen. Die Sorge um das nahe Astrolab Riff lassen mich erst spät einschlafen.

24:00 Uhr. Nina weckt mich. Wir gehen auf Süd-Süd-West. Am Abend des nächsten Tages fahren wir, der Sturm hat deutlich nachgelassen, in das Havanna Riff im Süden von Kaledonien ein. Nina übernimmt das Steuer ab Mitternacht und steuert Serendipity und den schlafenden Kapitän souverän durch die teilweise nur 10 Meter breiten, von Korallen gesäumten Fahrtrinnen.
Als ich am Morgen durch das Farbenspiel der aufgehenden Sonne aufwache und in das strahlende Gesicht meiner Co-Skipperin blicke, sind alle Sorgen weg.

Umgang mit schwerem Wetter
Das aktive Segeln in schwerem Wetter verlangt der Crew und dem Boot einiges ab. Und bei einer kleinen Crew, wie wir es sind, beeinflusst der Faktor Schlaf massgeblich das einzuschlagende Verhalten.
Passive Sturmtaktiken
Beidrehen
Das Beidrehen oder Beiliegen gehört zu den passiven Massnahmen bei Starkwind oder Sturm, die jeder Skipper mit seinem Boot bei rauer See üben sollte.
Massnahmen
Segel sind der durchschnittlichen Böenstärke entsprechend frühzeitig zu reffen. Gerefft bereits dann, wenn die innere Stimme mahnt. Wer vor dem Wind segelt weiss, dass man die Stärke generell zu schwach einschätzt. Wahrer Wind und scheinbarer Wind klaffen hier auseinander.
Über Stag auf den anderen Bug gehen. Dabei die Schot des Stagsegels (Fock) stehen lassen. Die Fock steht damit back. Luvruder geben.
Boot etwa 50 Grad zum Wind halten. Bei Bedarf Motorunterstützung geben.
Gross mit dem Traveller, wo vorhanden justieren, bis das Boot zum Stillstand kommt.
Was es ferner zu beachten gilt:
Legerwall
Nach dem Beidrehen kann das Boot auf Legerwall geraten, daher bereits vor dem Manöver mögliche Hindernisse und freien Seeraum prüfen.
Treibanker
Wer einen Sturm abwettert, kann das Boot vor dem Wind auch mit dem Treibanker halten. Damit wird der Winkel zum Wind präziser und treibt das Boot weniger stark nach Lee ab.
Ein als Fallschirm konzipierter Treibanker hält dabei den Bug vor dem Wind. Zumindest sollte er das. Der Winkel zum Wind lässt sich über Leinen und Blöcke einstellen. Lin und Larry Pardey berichten darüber, dass bei richtiger Einstellung sich im Lee eine Wirbelschleppe aus Blasen ergeben soll, die die Bootsbewegungen dämpfen würden (Handbuch Sturmtaktik, Hrsg. Thomas Käsbohrer).

Fazit des Beidrehens
Ist die Yacht beigedreht, verändert sich ihr Verhalten. Das Boot hebt und senkt sich durch die unter dem Boot durchrauschenden Wellen. Die Bewegungen werden weicher. Notwendige Tätigkeiten gehen leichter von der Hand, man kann ausruhen, essen, sich sammeln.
Das Manöver ist einfach. Dabei entscheidet nicht die durchschnittliche Windgeschwindigkeit, sondern Windstärke in Böen über das zu wählende Reff. Bei über 30 Knoten Windstärken gehen wir ins vierte Reff und führen die auf einem separaten Vorstag gefahrene Fock. Auf Rollbaum bzw. -Mast verzichten wir bewusst. Sie haben auf einer Blauwasseryacht unseres Erachtens mehr Nachteile als Vorteile.
Treiben lassen
Das Treiben lassen vor Topp und Takel gehört unseres Erachtens zu den passiven Massnahmen. Luken werden geschlossen, das Deck aufgeklart, wobei alles, was nicht unter Deck gebracht werden kann, sicher festzuzurren ist.
Es besteht zwischen den führenden Skippern Einigkeit, dass ein aktives Segeln und Eingreifen dem Treiben lassen vor Topp und Takel bei weitem vorzuziehen ist. Die Gefahr des Kenterns ist hoch. Eine mögliche Massnahme stellt es bei übersichtlichen Verhältnissen bei übermüdeter Crew dar. Wir ziehen das Beidrehen allerdings vor.
Aktive Massnahmen
Ablaufen - Running-off
Ablaufen mag die beste Taktik sein, wenn der Sturm zeitlich begrenzt ist und die voraussichtliche Wellenhöhe keine Gefahr für das Boot darstellt. Gerade bei Squalls kann man in der Regel gut ablaufen, wobei der Radar oft gut Hilfe leistet. Das Boot so stellen, dass der Wind leicht achterlich einfällt und die Segel gut füllt. Macht der Wind eine Drehung, vollzieht man diese mit (Kretschmer, 267). Bei dieser Taktik fährt man den Squall aus.
Ist nun aber schweres Wetter für Tage angesagt, haben sich Fronten gebildet und vertieft, geht es um mehr, als nur einen Squall abzureiten. Wesentlich herausfordernder für Crew und Boot ist alsdann die Dauer des Sturms. Man hat die Wahl zwischen Ablaufen, Beidrehen oder hart am Wind zu segeln, um möglichst schnell dem Sturmtief zu entkommen. Es entscheiden die Verhältnisse vor Ort und die Fähigkeiten der Crew.
Massnahmen
Grundsätzlich ist das Boot vor den Wellen so zu halten, dass es leicht abfällt. Ein Kurs zwischen ca. 30 und 50 Grad vor dem Wind vermindert die Gefahr einer Patenthalse. Preventer bzw. eine Baumbremse führen. Sturmfock und Gross im jeweilig passenden Reff.
Den Wind leicht achtern einfallen lassen. Abfallen in Wellentälern - Anluven vor der Welle. Drogue (Sea-Brake) einsetzen, damit das Boot nicht aus dem Ruder läuft.
Dafür sorgen, dass der Motor gut geschmiert ist. Nur ein gut gepflegtes Aggregat gibt das notwendige Vertrauen in dessen Fähigkeiten, wenn es hart auf hart geht. Ein Wort zur Geschwindigkeit des Bootes:
Auf den ersten Blick mag man denken, dass eine höhere Geschwindigkeit bei großen Wellen nicht der richtige Weg ist, und dass man sich bei extremen Bedingungen mit einem langsameren Tempo sicherer fühlt. Durch die Erhöhung der Geschwindigkeit verringern Sie jedoch das Risiko, zu kentern und das Boot weniger manövrierfähig zu machen (Yachting.com, 14.09.2023, letzter Zugriff 30.11.2024).
Für nicht wenige Skipper gehört daher eine hohe Geschwindigkeit zur Seemannschaft.
Hart am Wind segeln
Im Grunde genommen bestehen ähnliche Verhältnisse beim aktiven Segeln hart am Wind wie beim Beidrehen, allerdings mit dem Unterschied, dass das Boot durch das Segeln hart am Wind auf einem Kurs von 45 bis 60 Grad am Wind segelt und genügend Segel tragen muss, um mindestens 2-3 Knoten Fahrt zu machen. Falls die hoch gehenden Seen noch nicht voll ausgebildet sind, mithin gemässigte Verhältnisse herrschen, lässt sich mit dem Segeln hart am Wind einigermassen gut Strecke machen und Starkwind abwettern.
Möglich ist hier der Einsatz des Autopilotes über längere Strecken und damit längere Wachen. Die Maschine kann unterstützend eingesetzt werden, ist allerdings ständig zu überwachen, dauert der Sturm hier doch meist Tage und besteht die Gefahr, die Schraube durch über Bord gehende Leinen etc. zu blockieren oder das Aggregat zu überhitzen.
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